Die Orgel
Sankt Petrus Wörth a.d. Donau
„Dein Geist weht, wo er will”
… heißt ein nicht mehr ganz so neues Geistliches Lied von Ludger Edelkötter. Ein feinsinniger, Orgel spielender Theologe fügte unlängst hinzu: „…und wo man ihn lässt“. Nachdem das mehrfach veränderte Vorgängerinstrument in der weitläufigen Stadtpfarrkirche St. Peter zu Wörth an der Donau in den letzten Jahrzehnten eher mit lauen Lüftchen seinen Geist ausgehaucht hatte, handelten die Verantwortlichen in der rührigen Gemeinde geistesgegenwärtig: Trotz vieler Risiken wagten sie 2010 den einstimmigen Beschluss, binnen 15 Jahren eine neue Orgel mit mechanischer Tontraktur zu errichten. Einmal mehr bewährte sich die Arbeitsgemeinschaft FormKlang, in der sich zwei Werkstätten perfekt ergänzen: Orgelbau Thomas Jann aus Allkofen bei Regensburg mit einem vorzüglich aufgestellten Handwerksbetrieb nebst Intonateur Markus Schanze und Claudius Winterhalter aus Oberharmersbach im Schwarzwald mit seinen Ideen für die äußere und klangliche Gestaltung, nebst Jo Scherg-Quittek als ausgefuchstem technischem Planer. Diesen Spezialisten gelang es, in der wieder einmal schwierigen räumlichen Situation ein Maximum an äußerer Noblesse und klanglicher Vielfalt wohlstrukturiert anzuordnen. Wie gut, dass die Auftraggeber diesen phantasievollen Geisteskräften freien Raum ließen. Obendrein wurde das Werk bereits nach zwölf Jahren vollendet.
Aufgeräumt
Das Opus 349 aus der von Willibald Siemann übernommenen Werkstätte Martin Binders war zu seiner Entstehungszeit 1918 ein durchaus beachtliches Instrument. Die Folgen des Ersten Weltkriegs führten jedoch zu Lieferengpässen, Verzögerungen und mündeten schließlich in einer rechtlichen Auseinandersetzung. Ein halbes Jahrhundert später versuchte man, dem spätromantischen Klang in Richtung Neobarock aufzuhelfen; ein weiterer Anlauf hierzu datiert aus den 1990er-Jahren. Das Nebenwerk landete in einem sargartigen Verschlag mit Dachschweller, der die Nordwestecke der Empore blockierte. Nach der Jahrtausendwende verströmte die desolate pneumatische Steuerung der mittlerweile unübersichtlich gewordenen Anlage ihre Brise immer öfter ins Leere. – Mit dieser musikalisch und aufführungspraktisch untragbaren Situation räumt nun das FormKlang-Konzept auf.
Alles ist nun übersichtlich und logisch bei guter Zugänglichkeit eingerichtet.
In der Mitte befinden sich hintereinander Hauptwerk und Nebenwerk, getrennt durch den Stimmgang. Zwei große Pedalregister stehen seitlich auf Sturz und sind wegen ihrer Länge etwas tiefer gelegt sowie teilweise gekröpft; einige Pfeifen des Octavbass sind in den Prospekt geführt.
FORM
An die Brüstung abgerückt, nunmehr mit Blick zu Orgel und Musikerensemble, steht der neue, verblüffend zierliche Spieltisch. Um seine Masse auf der kleinen Empore zu verringern, wurde er im Oberbau elegant abgestuft. Die Klaviaturen und das Registertableau in schwarzem Klavierlack, liegen scheinbar federleicht obenauf. Dezent fügt sich auch der Prospekt in das gewachsene Ensemble von barocker Raumschale und neugotischem Hochaltar ein. Bereits 1918 war der Freipfeifenprospekt lediglich mit vertikalen Kreuzblumen-Lisenen zwischen den Pfeifenfeldern und vergoldeten „Zierleisten“ im Kranzgesims geschmückt worden – Anklänge an Neugotik und Jugendstil gleichermaßen. Beides wurde in die neue, nun doppelt geschweifte Orgelfassade integriert. Aus der ehemaligen Front wurde dadurch eine Plastik, deren räumliche Wirkung durch vertikale LED-Leuchtbänder betont wird. Schienen zuvor die längsten Orgelpfeifen in der Mitte das Deckengemälde fast zu berühren, gibt nun der obere Abschluss durch geschicktes Zurückschwingen den Blick auf Malerei und Stuck frei. Belebend wirkt ferner der sanft auf- und absteigende Labienverlauf. Die farbliche Fassung des Orgelcorpus übernahm wiederum der Künstler Frieder Haser aus Haslach im Kinzigtal. Die markanten Goldglas-Elemente über den Prospektpfeifen stammen aus der Manufaktur Teufel im badischen Altenheim.Beides erfahrene FormKlang-Partner.
KLANG
Die geringe Höhe und die knappe Stellfläche auf der Empore begrenzten die Registerzahl, so dass mit einem Minimum an Ressourcen maximale Klangvielfalt und -fülle erzielt werden mussten. Unter den 24 Stimmen sind elf zu 8‘ und vier zu 16‘. Damit sind gleich drei Prämissen bedient: eine reichhaltige Grundtonpalette, dynamische Abstufungen und ein kräftiges Fundament. Letzteres manifestiert sich insbesondere in den drei forte-Pedalregistern sowie in Principal, Flaut travers und Trompete, die sehr großzügig mensuriert und auf Energie intoniert sind; sie tragen schließlich das Plenum – auch bei voller Kirche in der nicht eben verstärkenden Raumakustik. Herausragend an dieser Orgel ist eindeutig Viola da Gamba mit ihrem ausgeprägten Strich: Sie hellt den Principal merklich auf, schafft die Basis für Liedbegleitung und Plenum im Stil der Romantik und ergibt gemischt mit anderen Stimmen in der Tenorlage eine perfekte Labial-Klarinette. Ähnlich vorteilhaft verschmelzen Rohrflöte 8‘ und Quinte zu einer runden, jedoch profilierten Quintade. Generell zeigt die Disposition auffallend viele Ähnlichkeiten mit derjenigen Willibald Siemanns, was insbesondere für das Schwellwerk gilt: Es basiert auf dem zart streichenden Secundprincipal und hält fast das identische Ensemble in der 8‘- und 4‘-Lage bereit. Im Gegensatz zu 1918 ist es jedoch um eine geschmeidige Oboe und einige Obertonreihen erweitert. Letztere ergeben ein durchsetzungsfähiges Cornet, eine Progressio-Mixtur oder aparte Lückenregistrierungen. Diese wiederum lassen sich mit den Streicherstimmen zu experimentellen Klängen kombinieren, besonders in den Extremlagen.
Extensionen oder Transmissionen im Pedal werden bei Orgeln dieser Größe immer wieder diskutiert. Hier sorgten die aus dem Hauptwerk entlehnten Register für erheblichen Raumgewinn zugunsten einer ergiebigen Klangabstrahlung. Außerdem macht das dadurch mögliche Potential im Hauptwerk die wenigen Überschneidungen im Bassbereich mehr als wett. Probate Zugaben sind in solchen Situationen auch die beiden Sonderkoppeln: Die Suboktavkoppel erzeugt im I. Manual unter anderem eine linguale 16‘-Ebene sowie Tiefaliquoten und ist zugleich eine weitere charmante Reminiszenz an die Siemann-Orgel. Die Superktavkoppel aus dem Schwellwerk bringt zusätzliche Leichtigkeit ins Pedal auf mezzoforte-Ebene.
Für Liturgie und Konzert
So oder ähnlich heißt es in vielen Orgelberichten. Die Klangausrichtung dieses Instruments lässt zunächst an Literatur der Romantik denken, inklusive Chorbegleitung, sowie an Improvisationen zur katholischen Liturgie; genau dies ist die wichtigste Aufgabe der neuen Wörther Orgel:
Zur spontanen, einfallsreichen und einfühlsamen Gestaltung des Gottesdienstes kann es nicht genug farbige Nuancen zwischen pianissimo und mezzoforte geben,
die hier erfreulicherweise auch den gesamten Frequenzbereich abdecken und eben nicht nur säuseln. Alles lässt sich hier nach und nach bis zum satt geerdeten fortissimo steigern. Während viele Orgeln der Spätromantik mit dem kräftigen Hauptwerk und einem leisen Nebenwerk eher einschränken, fordert dieser flexible Klangkörper die Kreativität heraus. Das Schönste daran ist, dass es bei diesem Konzept immer Ungewohntes zu entdecken gibt: So erklingt nicht nur manches Stück aus der Romantik an der FormKlang-Orgel erstaunlich frisch, sondern auch mancher Bach in ungewohnt neuem Gewand.
Liturgische Eignung wird allzu oft auf die Wahrung traditioneller Stile und Formen reduziert. Die hier weiter entwickelten Klangvorstellungen der Spätromantik weisen jedoch auch in die Gegenwart und Zukunft – dies keineswegs nur mit den oben erwähnten Optionen experimenteller Klänge. Auch das so genannte Neue Geistliche Lied lässt sich mit geschmeidigen und obertönigen Streicherstimmen sowie einem kräftigen Bass als Rhythmusgeber hervorragend führen. Vielleicht ermuntern die (überblasenden) Flöten zu Ausflügen in den Jazz. Trompete, Posaune und das abwärts oktavierte gekoppelte Schwellwerk ergeben sogar eine veritable Bigband; eine solche spielte bereits mehrfach bei Benefizkonzerten für die FormKlang-Orgel auf. – All dies lässt hoffen, dass freier Geist und frischer Wind noch lange wehen dürfen – nicht nur in der fast tausendjährigen Stadtpfarrkirche zu Wörth an der Donau.
Markus
Zimmermann
Disposition
Hauptwerk I
Bourdon 16‘
Principal 8‘
Flaut travers 8‘
Viola da Gamba 8‘
Gedackt 8‘
Octave 4‘
Rohrflöte 4‘
Superoctave 2‘
Mixtur IV–V 2‘
Trompete 8‘
Pedal I
Violonbass 16‘
Subbass* 16‘
Octavbass 8‘
Bassflöte* 8‘
Cello* 8‘
Bassoctave* 4‘
Posaune 16‘
Trompete* 8‘
*Transmission HW/Ped
Schwellwerk II
Secundprincipal 8‘
Rohrflöte 8‘
Salicional 8‘
Bifara ab c 8‘
Fugara 4‘
Spitzflöte 4‘
Quinte 2 2/3‘
Flageolet 2‘
Terz 1 3/5‘
Quinte 1 1/3‘
Oboe 8‘
Tremulant
Koppeln
II/I, I/P, II/P
Sub II/I, Super II/P
Temperierung
gleichstufig
Stimmtonhöhe
a1 = 440 Hz bei 18 Grad Celsius
Tonumfang
Manual C-g3, Pedal C-f1
Tontraktur
mechanisch
Registertraktur
Elektrisch mit Setzeranlage