Die Orgel
St. Peter und Paul Schierling

Farbe, Kraft und Vielfalt

Vorbei ist die Orgelweihe mit Festgottesdienst, Schulterklopfen und großem Konzertprogramm. Danach wird oft gefragt, ob die Investition im Volumen eines Einfamilienhauses die alltägliche Kirchenmusik nun so sehr verändere. Nicht so in der aufstrebenden Marktgemeinde Schierling südlich von Regensburg. Das 2018 eingeweihte Instrument von Orgelbau FORMKLANG (Arbeitsgemeinschaft der Werkstätten Thomas Jann und Claudius Winterhalter) bringt unüberhörbar Farbe, Kraft und Vielfalt in die Schierlinger Kirchenmusik.

Von 1892 an sandte das mit 15 Registern für die beachtliche Kubatur der Schierlinger Kirche bescheidene Opus 30 der Firma Binder & Siemann 125 Jahre wenig differenzierte Klänge von der oberen Empore herab. Die Regensburger Werkstätte bastelte damals an einem eigenen pneumatischen Steuersystem, das nie richtig funktionierte und nur wenige Male angewandt wurde. Eine Kuriosität war der Spieltisch auf der unteren Empore, der bereits 1909 eine Etage nach oben verlegt wurde. 

Dicke Bretter

Wiederholte Reparaturen behoben die technischen Mängel nicht und konnten schon gar nicht die musikalischen Defizite beseitigen. Deshalb entschloss sich die Kirchenverwaltung 2007 eine neue Orgel anzuschaffen. Bis zur Fertigstellung brauchte es allerdings einen langen Atem. Dicke Bretter mussten Pfarrer Josef Helm und seine Mitstreiter bohren, um dem Landesdenkmalamt die Genehmigung abzuringen, das stark vom Holzwurm befallene Material von 1892 samt dem schablonenhaften, wenig passenden Neurenaissance-Gehäuse abzutragen und einzulagern. Weder das Orgelmuseum im nahen Kelheim noch Pfarrgemeinden in der Diözese Regensburg zeigten Interesse, die Alt-Substanz kostenlos zu übernehmen. Erst durch das eindeutige Votum des Sachverständigen, KMD Thomas Löffelmann, konnte das Projekt wieder an Fahrt gewinnen: Der Verbleib der alten Orgel behindere die Entwicklung des kulturellen Lebens und der kirchenmusikalischen Arbeit in der überaus rührigen Gemeinde.

Nun galt es, 25 Register dort unterzubringen, wo zuvor 15 Stimmen standen. Zwar wirkt die obere Empore mit ausreichender Höhe in der Mitte geräumig, doch sollte genügend Platz für den gut 30köpfigen und sehr aktiven Kirchenchor nebst Orchester bleiben. Als Lichtquelle sollten die seitlichen Fenster erhalten bleiben. Schließlich durfte der Gehäusecorpus nicht in das hinterste Deckenbild hineinragen. Somit war für die Anordnung der drei Teilwerke äußerste Ökonomie geboten. Hauptwerk und Schwellwerk stehen hintereinander. Die sperrigen Pedalregister Violonbass und Posaune 16’ wurden in C-/Cis-Teilung seitlich auf Sturz gestellt; Subbass und Octavbass sind zentral an der Orgelrückwand platziert. Diese kompakte Anordnung ermöglicht kürzeste Trakturwege zu der vor das Untergehäuse gesetzten Spieltafel. 

Eleganz

Orgelbautechnisch fände all das in einem schrankartigen Kubus Platz, der jedoch im Kontext der barocken Architektur ein Fremdkörper wäre. Als Alternative zu einer neo-barocken Fassade verleiht der Entwurf von Claudius Winterhalter dem Orgelgehäuse eine in unsere Zeit passende Eleganz. Dazu wurden die Pfeifen der seitlichen Prospektfelder ohne Begrenzung um die Ecke geführt. Licht, Reflexion und Zwischenräume sorgen somit an der Peripherie für einen gleitenden Übergang zwischen Masse und Freiraum. Die beiden Außenfelder folgen konvexen Grundrissen, das Mittelfeld dagegen ist konkav gewölbt. Das krönende Gesims zeichnet diesen Verlauf nach. Die mäandernde Form sorgt zusätzlich für ein stimmiges Erscheinungsbild. 

Das Schleierwerk über den Pfeifenfeldern greift die Ornamente des Stucks sowie die Farbgebung der Gurtbänder auf und wirkt – je nach Lichteinfall – beige bis golden. Es wurde von Kunstmaler Frieder Haser aus Haslach im Kinzigtal aus mehreren Textilschichten gefertigt. Er legte auch die mehrschichtig pigmentierte Fassung des Orgelgehäuses in lichtem Steingrau an. 

Mehr Sein als Schein

Schlicht wie ihr Äußeres ist der klangliche Aufbau der neuen Schierlinger Orgel. Doch auch hier trügt der Schein, denn es steckt weit mehr Potential in der musikalischen Gestaltung als die Disposition zunächst erahnen lässt. Im Hauptwerk springt die bislang einmalige Registerbezeichnung „Flabiol“ ins Auge: Es handelt sich dabei um eine aus der altkatalanischen Einhand-Hirtenflöte abgeleitete Holzflöte, die im Diskant sehr obertönig wird, ohne zu dominieren. Sie kann auch verwendet werden, um dem per se schlanken Principal mehr Volumen zu geben. Mit ihrem starken Strich und vielen Teiltönen verblüfft die Gamba, die sogar ein kleineres Plenum merklich aufzuhellen vermag. Flabiol und Gamba ergeben zusammen eine perfekte Labial-Zungenstimme, die der Physharmonika am nächsten kommt, samt deren leicht fragiler Charakteristik. Die Rohrflöte 4’ ist etwas in Richtung Spitzflöte ausgerichtet, während die Traversflöte im Schwellwerk deutlich An- und Überblas-Merkmale zeigt. Zum Glück wurde im Hauptwerk eine prinzipalische Quinte 2 2/3’ eingestellt – wichtig für das Vorplenum und die Anbindung der Mixtur zu den Grundstimmen. Das gut aufeinander abgestimmte Ensemble wird von einer kräftigen Trompete gekrönt. 

In barocker Lesart ist das zweite Manual mit dem zerlegten Cornett, Salicional und zurückhaltender Klangkrone ein traditionell süddeutsches Oberwerk. Bourdon 16’, der im Vergleich zum Hauptwerk wesentlich leisere, jedoch streichendere Geigenprincipal, das zum Diskant hin sehr farbige Doppelgedeckt und die Schwebung zaubern daraus das Schwellwerk einer größeren spätromantischen Orgel. Die Oboe ist so austariert, dass sie für Solo- und Ensemble-Registrierungen verschiedener Stilrichtungen gleichermaßen einsetzbar ist. Zusammen mit den Grundstimmen des Hauptwerks lässt sich mit ihr – durch den Schweller in der Dynamik justierbar – jene Klangmischung erzeugen, die für das (katholische) liturgische Orgelspiel seit der Hochromantik so beliebt ist. Denn auf Basis der Gamba entsteht ein dichtes und weit hinaufreichendes Obertonspektrum mit geringerem Schalldruck als beim Prinzipalplenum. Somit ist auch die tief liegende Mixtur des II. Manuals eine modulierbare Größe, um bei gekoppelten Werken unterschiedliche Plena zu formen. 

Bei diesem Orgeltyp ist es inzwischen wieder üblich, Suboktavkoppeln zu bauen. Dabei fällt oft die Entscheidung schwer, ob diese im II. Manual oder als Verbindung II / I angelegt werden sollen . Es ist ein gewisser Luxus, dass hier beides realisiert wurde, und zwar elektrisch wirkend, so dass – zusammen mit der Normalkoppel II/I – kein zu zähes Spielgefühl entsteht. Netter Nebeneffekt: Da im Schwellwerk ein 16’-Register steht, ergibt sich ab der kleinen Oktave ein dezenter 32’-Effekt, ein Höhepunkt für homophone Musik im strahlenden Tutti bei voll besetzter Kirche.

Das Pedalwerk beschränkt sich auf wenige wichtige und kräftige Stimmen. Für leise Passagen wurde der Zartbass als Windabschwächung des Subbass eingerichtet. Immer wieder in der Diskussion stehen transmittierte Register. Gamba, Octave und Trompete kommen hier vor allem solistische Funktionen zu, weshalb es ein Vorteil ist, dass sie aus dem Hauptwerk heraus sehr präsent in den Kirchenraum sprechen. Weitere solistische, aber auch aparte Ensemble-Optionen bietet die Superkoppel II / P.

Intonateur Markus Schanze ist es gelungen, die gut zwei Dutzend Register der Schierlinger Orgel einerseits in jedem Detail und in jeder Lage profiliert zu gestalten, andererseits ein Maximum an Verschmelzung zu erzielen. Letzteres zeigt sich insbesondere beim Aufbau eines Crescendos, in das freilich Schweller und Suboktavkoppeln sensibel einzubeziehen sind. Die Gemeinde, in der immer wieder Profi-Musiker wirken, hat somit eine Orgel erhalten, die in Volumen, Vielseitigkeit und klanglicher Prägnanz gegenüber dem Vorgängerinstrument einen Quantensprung markiert.

Von den Socken

Mitunter werden die Aktivitäten von Orgelbauvereinen ob ihrer Kleinteiligkeit belächelt. In Schierling erbrachten sie jedoch – neben dem nicht zu unterschätzenden Gemeinschaft stiftenden Effekt – den stattlichen Betrag von 105.607 €. Eine besonders originelle Idee dabei war der Verkauf von über tausend Paar handgestrickter Socken. Hier haben sich offenbar besonders viele von der Orgel begeistern lassen und sich buchstäblich auf die Socken gemacht. – Und noch eine Zahl ist erwähnenswert: Ohne den Zuschuss von 45 % der Bausumme durch das Bistum Regensburg hätten die Schierlinger noch 1400 Jahre für die Finanzierung ihrer neuen Orgel gebraucht. Seit etwa ebenso vielen Jahren wird in Südeuropa die Einhandflöte Flabiol gespielt…

Markus Zimmermann

Disposition

Hauptwerk I
Bourdon 16‘
Principal 8‘
Flaut travers 8‘
Viola da Gamba 8‘
Gedackt 8‘
Octave 4‘
Rohrflöte 4‘
Superoctave 2‘
Mixtur IV–V 2‘
Trompete 8‘

Pedal I
Violonbass 16‘
Subbass* 16‘
Octavbass 8‘
Bassflöte* 8‘
Cello* 8‘
Bassoctave* 4‘
Posaune 16‘
Trompete* 8‘
*Transmission HW/Ped

Schwellwerk II
Secundprincipal 8‘
Rohrflöte 8‘
Salicional 8‘
Bifara ab c 8‘
Fugara 4‘
Spitzflöte 4‘
Quinte 2 2/3‘
Flageolet 2‘
Terz 1 3/5‘
Quinte 1 1/3‘
Oboe 8‘
Tremulant

Koppeln
II/I, I/P, II/P
Sub II/I, Super II/P 

Temperierung
gleichstufig

Stimmtonhöhe
a1 = 440 Hz bei 18 Grad Celsius

Tonumfang
Manual C-g3, Pedal C-f1

Tontraktur
mechanisch

Registertraktur
Elektrisch mit Setzeranlage

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